In dieser Ausgabe
- Inflationsausgleichsprämie in voller Höhe trotz Elternzeit
- Eingruppierung einer pädagogischen Kita-Fachkraft, die Tätigkeiten eines Erziehers ausübt
- AVR sind Allgemeine Geschäftsbedingungen besonderer Art, die der Verwirklichung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts dienen
Inflationsausgleichsprämie in voller Höhe trotz Elternzeit
Das Arbeitsgericht Essen hat im Fall 3 Ca 2231/23 eine wichtige Entscheidung getroffen, die das Thema Inflationsausgleich während der Elternzeit betrifft.
Der Fall
Die Klägerin ist seit 2019 angestellte Arbeitnehmerin bei der Arbeitgeberin und es findet der TVöD Anwendung. Die Klägerin befand sich von Sommer 2022 bis Anfang 2024 in Elternzeit, teilweise arbeitete sie in Teilzeit. Während dieser Zeit zahlte ihr Arbeitgeber keinen Inflationsausgleich bzw. nur einen reduzierten Betrag aufgrund der Teilzeit, gemäß dem Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise vom 22. April 2023.
Dagegen wehrte sich die Klägerin und sah in dieser Regelung eine Diskriminierung aufgrund der Elternzeit und beehrte die volle Inflationsausgleichsprämie. Die Beklagte machte geltend, dass man keinen Anspruch auf die Prämie hat, wenn man aufgrund der Elternzeit gar nicht arbeitet, bzw. nur einen reduzierten Anspruch bei einer Teilzeittätigkeit. Dies sei unstreitig im Tarifvertrag so geregelt. Eine Diskriminierung könne man nicht darin erkennen.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht Essen erkannte eine Diskriminierung im Ausschluss der Prämie aufgrund der Elternzeit und erklärte diesen für rechtswidrig nach Art. 3 GG. Daher hat die Klägerin einen Anspruch auf die gesamte Prämie.
Das Gericht bejahte eine willkürliche Ungleichbehandlung verschiedener Personen ohne rechtfertigenden Grund.
Kernargument ist, dass auch andere Personen, die keine Arbeitspflicht erbringen müssen und keine Vergütung vom Arbeitgeber erhalten, einen Anspruch auf die Prämie haben. Dabei handelt es sich um Krankengeldbezieher, die aufgrund von Barleistungen des Sozialversicherungsträgers keinen Krankengeldzuschuss erhalten und um Kinderkrankengeldempfänger, die ebenfalls keinen Zuschuss erhalten. Diese zwei Fälle sind nicht anders zu behandeln als eine Person in Elternzeit, denn auch da ruht die Arbeitspflicht und es wird keine Vergütung gezahlt.
Dass der Grund für die fehlende Arbeitspflicht hier einmal im Ermessen des Mitarbeitenden steht (nämlich der Elternzeit) und einmal nicht (bei einer langen Krankheit) wurde nicht als rechtfertigender Grund gesehen. Denn die Fürsorge um ein Kind ist in Art. 6 GG ein geschütztes Rechtsgut.
Auch Tarifverträge dürfen nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen, daher muss die Arbeitgeberin die Prämie auch hier zahlen.
Übertragbarkeit
Diese Entscheidung ist auf die AVR übertragbar. Denn in der Anlage 1c zu den AVR sind inhaltlich dieselben Regelungen getroffen.
Die Folgen
Nach jetzigem Kenntnisstand (11. Juli 2024) ist diese Entscheidung noch nicht rechtskräftig und das Rechtsmittel wurde ausdrücklich zugelassen. Es bleibt also abzuwarten, ob sich die höheren Instanzen dieser Auffassung anschließen. Es ist das erste Urteil, welches sich mit dieser Frage beschäftigt.
Siehe auch unsere Meldung hierzu auf der Themen-Seite "Arbeitszeit und Arbeitsrecht vom 1. Juli 2024!
Auch im Bereich der Caritas wurde aufgrund der Regelung in den AVR die Inflationsausgleichsprämie nicht an Mitarbeitende gezahlt, die sich in Elternzeit befanden, bzw. nur reduziert gezahlt für Mitarbeiter, die in Teilzeit während der Elternzeit gearbeitet haben. EOb die Prämie nun nachträglich gefordert werden kann, trotz dem Ablauf der Ausschlussfrist von 6 Monaten nach § 23 AT zu den AVR, erscheint fraglich.
Zwar ist der Ausschluss nicht anwendbar bei vorsätzlichen Handlungen, aber diese liegt hier nicht vor. Der Vorsatz wurde auch in diesem Urteil verneint, da Tarifregelungen besonderes Vertrauen in die Rechtmäßigkeit genießen; dies wird bei den AVR nicht anders sein.
Jedoch beginnt diese Frist nicht immer mit der Entstehung des Anspruches. Nach Anlage 1c Abs. 1 Satz 2 zu den AVR also nicht zwingend zum 30. Juni 2023, wobei Abweichungen durch eine Dienstvereinbarung möglich sind.
Es wird vom BAG immer wieder betont, dass es dem Mitarbeiter auch möglich sein muss, diesen Anspruch geltend zu machen, so etwa eine ungefähre Kenntnis davon haben muss, bspw. BAG, Urteil vom 28.08.2019 - 5 AZR 425/18. Hier musste der Mitarbeiter keine Kenntnis von diesem Anspruch haben, da dieser in der Regelung ausgeschlossen war. Dass dieser Ausschluss rechtswidrig war, war für einen Mitarbeiter ohne juristische Kenntnis nicht zu erkennen. Ein Mitarbeiter muss darauf vertrauen dürfen, dass die Regelungen der Arbeitsrechtlichen Kommission rechtmäßig sind, ohne daraus Nachteile zu fürchten.
Ergebnis
Momentan erscheint noch alles offen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig und andere Arbeitsgerichte sind daran nicht gebunden. Ob sich diese dieser Rechtsauffassung anschließen, ist offen.
Es spricht vieles dafür, dass die Ausschlussfrist noch nicht begonnen hat. Auch hier wird man entweder auf die Einsicht des Dienstgebers hoffen oder eine gerichtliche Klärung herbeiführen.
2. Eingruppierung einer pädagogischen Kita-Fachkraft, die Tätigkeiten eines Erziehers ausübt
Dieser Rechtsfall ist interessant, weil hier eine Einrichtung – eine katholische Kindertagesstätte – die Refinanzierung der tariflichen Personalkosten einklagt. Das Oberverwaltungsgericht Koblenz (OVG) setzt sich im Urteil vom 30.04.2024 – 6 A 10839/23.OVG mit der Eingruppierung als Mitarbeiter in der Tätigkeit von Erziehern nach S 4 Fallgruppe 3 TVöD SuE (bei Caritas: S 4 Fallgruppe 2 der Anlage 33 AVR) sehr genau auseinander. Weiter bestätigt das OVG und führt näher aus, dass nach dem Landes-Kindertagesstättengesetz die anfallenden tariflichen Personalkosten als angemessene Kosten gelten und damit vom Träger des Jugendamtes ausgeglichen werden müssen.
Der Fall
Die Beteiligten streiten um die tarifgerechte Eingruppierung einer Mitarbeiterin und den damit verbundenen Zuschuss zu den Personalkosten eines Kindergartens. Die Klägerin, ein katholischer Kindergarten, wendet sich gegen die Aufhebung und Rückforderung von Zuschüssen zu den Personalkosten ihrer Kindertagesstätte.
Die Klägerin beschäftigte eine Mitarbeiterin ausweislich des Arbeitsvertrages „pädagogische Fachkraft“ mit einem Beschäftigungsumfang in Höhe von 50% der üblichen Arbeitszeit. Die Mitarbeiterin wurde in einer Kita-Gruppe eingesetzt und besuchte berufsbegleitend den dualen Studiengang zur Erzieherin. Die Klägerin hat keine klare Trennung der Aufgaben zwischen den Mitarbeitern in der Gruppe im Sinne von einer Erstkraft und Zweitkraft vorgenommen. Die Tätigkeiten der Fachkraft in der Gruppe entsprachen daher im Wesentlichen den Tätigkeiten der anderen Gruppenmitarbeiterinnen, die ihrerseits staatlich anerkannte Erzieherinnen waren.
Das Landesjugendamt beanstandete die Eingruppierung der Tätigkeit in der Entgeltstufe S 4. Die Mitarbeiterin befinde sich in einer Ausbildung und übe deshalb nicht einer Erzieherin gleichwertige Tätigkeit aus und verfüge auch nicht über gleichwertige Fähigkeiten. Sie müsse deshalb als Nichtfachkraft oder nach einer Ausbildungsvergütungsordnung vergütet werden. Im Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst Sozial- und Erziehungsdienst (TVöD SuE) würden Nichtfachkräfte nach S 2 vergütet. Liege eine Qualifikation als Kinderpfleger oder Sozialassis-tent vor, sei eine Eingruppierung nach S 3 gerechtfertigt.
Die Entscheidung
Das OVG hat die zulässige Berufung der Klägerin für begründet erachtet. Die Eingruppierung der Beschäftigten in die EG S 4 Fallgruppe 3 TVöD SuE ist rechtens.
Im Rahmen der Abgrenzung der Tätigkeiten von Erziehern, Kinderpflegern und Sozialassistenten hat das OVG zunächst klargestellt, dass bei Beschäftigten „in der Tätigkeit von Erziehern“ die betreuende Tätigkeit die auszuübenden Aufgaben prägt und bei Kinderpflegern die pflegerische Tätigkeit. Für die weitere Abgrenzung von Kinderpflegern und Sozialassistenten könne zudem darauf abgestellt werden, ob die auszuübende Tätigkeit in erster Linie der Unterstützung eines Erziehers dient und damit keine eigenverantwortlichen erzieherischen Aufgaben ausgeübt werden sollen.
Das OVG erklärt sehr schön die unterschiedlichen Aufgabenbereiche von Erziehern, Kinder-pflegern und Sozialassistenten bei der Abgrenzung der S 4 Fallgruppe 1 zu Fallgruppe 3 TVöD SuE.
Unter „Erzieher“ fallen die Personen, die in der außerschulischen Arbeit im Schwerpunkt sozialpädagogische Aufgaben haben und fürsorgerisch-bewahrend Kinder oder Jugendliche betreuen. Sie beobachten das Verhalten, Befinden sowie den Entwicklungsstand der Kinder, erstellen Erziehungspläne und wenden altersgerechte pädagogische Methoden an und motivieren zu kreativen Aktivitäten, zu freiem und gelenktem Spiel oder zu Bewegung. Darüber hinaus bereiten sie Speisen zu, behandeln leichte Verletzungen und halten die Kinder zu Körperpflege und Hygiene an. Zudem reflektieren sie ihre erzieherische Arbeit im Team mit den Kollegen und arbeiten mit Fachleuten aus Medizin, Psychologie und Therapie zusammen.
„Kinderpfleger“ sind in der außerschulischen Erziehungs- und Betreuungsarbeit in familienergänzenden oder -ersetzenden Einrichtung tätig und unterstützen mit ihrer Arbeit sozialpädagogische Fachkräfte und Eltern bei der Erziehung, Förderung und Pflege von Säuglingen und Kleinkindern ohne selbstverantwortlich erzieherische Prozesse zu gestalten. Sie sorgen für altersgemäßes Spielmaterial und leiten Kinder beim Spiel an. In der Regel sind sie zusammen mit einem Erzieher als sogenannte Zweitkraft tätig, pflegen und versorgen Säuglinge und Kleinkinder oder betreuen und fördern Kinder bis zwölf Jahre in Kindertageseinrichtungen und Privathaushalten.
Die „Sozialassistenten“ übernehmen demgegenüber neben hauswirtschaftlichen Aufgaben auch sozialpflegerische und pädagogisch-betreuende Tätigkeiten im Rahmen der Familienpflege, in Einrichtungen der Hilfe für Menschen mit Behinderungen, im Bereich der Altenpflege und bei der Betreuung von Kindern. Bei letzterem unterstützen sie die Tätigkeit von Erziehern, insbesondere durch das Anregen zu sinnvoller Freizeitbeschäftigung, oder betreuen Kinder bei den Hausaufgaben.
Im vorliegenden Fall war die Mitarbeiterin „in der Tätigkeit von Erziehern“ tätig.
Die Mitarbeiterin war vertraglich verpflichtet, die Tätigkeit einer pädagogischen Fachkraft in einer Kita-Gruppe auszuüben und nicht lediglich eine Fachkraft zu unterstützen. Im Gruppenalltag gab es keine unterschiedlichen Arbeitsvorgänge der Fachkraft und der anderen in der Gruppe tätigen Erzieher. Gemeinsame Aufgabe der Gruppenleitung und der weiteren Gruppenmitarbeiter war es, die Kinder zu betreuen. Also war die Mitarbeiterin „in der Tätigkeit“ einer staatlich anerkannten Erzieherin tätig, ohne selbst über die staatliche Anerkennung zu verfügen. Eine solche setzt die S 4 Fallgruppe 3 TVöD SuE – anders als die S 8a – auch nicht voraus.
Die durch korrekte Anwendung des Tarifes entstehenden Personalkosten sind, so das OVG weiter, zu erstatten.
Gemäß des für das betreffende Betriebsjahr geltenden rheinland-pfälzischen Kindertagesstättengesetzes werden die durch Elternbeiträge, Eigenleistung des Trägers und Zuweisungen des Landes nicht gedeckten Personalkosten durch Zuwendungen des Trägers des Jugendamtes ausgeglichen. Personalkosten im Sinne dieses Gesetzes sind die angemessenen Aufwendungen des Trägers der Einrichtung für Vergütungen, Unterhaltsbeihilfen und Sonderleistungen für das Personal im Erziehungs- und Wirtschaftsdienst auf der Grundlage des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen.
Angemessen sind Personalkosten für solche Stellen, die im Rahmen der Bedarfsplanung ausgewiesen sind und tarifgerecht besetzt werden. Danach muss eine Eingruppierung eines Beschäftigten nach den maßgeblichen tarifvertraglichen Regelungen fehlerfrei erfolgen. Ein Einschätzungsvorrecht ist dem Träger der Einrichtung insoweit nicht eingeräumt.
Das Fazit
Übertragbar auf die Anlage 33 AVR
Die Ausführungen des OVG zur Eingruppierung als Mitarbeiter in der Tätigkeit von Erziehern nach S 4 Fallgruppe 3 TVöD SuE sind ebenso übertragbar auf die Eingruppierung nach S 4 Fallgruppe 2 der Anlage 33 AVR wie auch die Beschreibung der Berufe nach S 4 Fallgruppe 1. Gleichfalls gelten die Grundsätze zur Erstattung der durch die korrekte Tarifanwendung anfallenden Personalkosten entsprechend für den AVR-Bereich.
Das heißt...
Das Tätigkeitsmerkmal „in der Tätigkeit von Erzieherinnen, Heilerziehungspflegern, Heilerziehern mit staatlicher Anerkennung“ knüpft nach dem Wortlaut allein an die auszuübende Tätigkeit an und stellt darüber hinaus keine subjektiven Anforderungen. Das heißt, die Tätigkeiten können auch von ungelernten Beschäftigten ausgeübt werden. Im Unterschied dazu erfolgt die Eingruppierung bei staatlicher Anerkennung als Heilerzieher, Erzieher oder Heilerziehungspfleger in die S 8a Fallgruppe 1.
Unerheblich ist, dass der auszuübende Tätigkeitsbereich nicht das gesamte qualitative Spektrum eines z.B. Erziehers mit staatlicher Anerkennung abdeckt. Das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 4 Fallgruppe 3 TVöD-SuE, bzw. S 4 Fallgruppe 2 der Anlage 33 AVR, verlangt schon dem Wortlaut nach nur Arbeiten „in der Tätigkeit von Erziehern…“. Ausreichend ist, wenn die einzelnen Tätigkeiten einer Erziehertätigkeit zuzuordnen sind und damit der Arbeitsvorgang in seinem Arbeitsergebnis von der Tätigkeit in diesem Bereich definiert wird. So urteilte auch das Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. April 2008 – 4 AZR 117/07, für einen Beschäftigten „in der Tätigkeit“ eines Beschäftigungstherapeuten.
Ist die Eingruppierung des Mitarbeiters nicht fehlerhaft, genügt also den tariflichen Vorausset-zungen, sind diese Personalkosten angemessen.
3. AVR sind Allgemeine Geschäftsbedingungen besonderer Art, die der Verwirklichung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts dienen
Anmerkung zum Urteil des BAG (6.Senat) Urteil vom 05.10.2023, 6 AZR 308 / 2
Leitsatz des Gerichtes:
"Arbeitsvertragsrichtlinien als auf dem von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Dritten Weg zustande gekommene kirchliche Arbeitsrechtsregelungen dienen der Verwirklichung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Sie sind daher Allgemeine Geschäftsbedingungen besonderer Art, die von staatlichen Gerichten nur darauf zu überprüfen sind, ob sie mit höherrangigem, zwingendem Recht und den guten Sitten vereinbar sind."
Der Fall
Die Parteien streiten über die nach einer Herabgruppierung vorzunehmenden Stufenzuordnung der Klägerin nach den Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland (AVR-DD). Diese sind kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin als Fachkraft im Pflege- und Betreuungsdienst (EG 7 Stufe 2) anwendbar. Nach erfolgter temporärer Höhergruppierung wegen Tätigkeitsübernahme als Bereichskoordination (EG 9 Stufe 1) erfolgte auf eigenen Wunsch der Klägerin später wieder die Weiterbeschäftigung als Fachkraft im Pflege- und Betreuungsdienst. Entsprechend der geltenden Regelungen der AVR-DD erfolgte durch Herabgruppierung die Weiterbeschäftigung in der EG 7 Stufe 1. Dagegen wehrt sich die Klägerin durch Klage.
Die Entscheidung
Aus der Entscheidung des Gerichtes zur zulässigen, aber unbegründeten Klage (sprich, die Klägerin bekam letztinstanzlich kein Recht) soll vorliegend nur auf die Ausführungen zu den AVR als Allgemeine Geschäftsbedingungen eingegangen werden.
Bei kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, so stellt das Gericht fest, handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, welchen mangels normativer Wirkung in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen nur über Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen Wirkung verschafft werden kann.
Sie unterliegen der Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Zutreffend führt das Gericht aus, dass sich allerdings die AVR nach ihrem Zustandekommen auf dem im kirchlichen Selbstverständnis wurzelnden und daher von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Dritten Weg sowie ihrem Regelungsgegenstand grundlegend von solchen Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterscheiden, auf die die AGB-Kontrolle in §§ 305 ff. BGB zugeschnitten ist. AGB betreffen anders als AVR keine Hauptleistungspflichten und werden nicht unter paritätischer Beteiligung der Arbeitnehmer in Arbeitsrechtlichen Kommissionen ausgehandelt. Im Unterschied zu einem weltlichen Arbeitgeber, der Allgemeine Geschäftsbedingungen stellt, können nach der Konzeption des Dritten Wegs weder der einzelne Dienstgeber noch die Dienstgeberseite ihre Vorstellungen vom Inhalt des Arbeitsverhältnisses einseitig verfolgen und durchsetzen.
AVR sind nach Auffassung des Gerichtes damit Allgemeine Geschäftsbedingungen besonderer Art, die der Verwirklichung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts dienen. Das Gericht stellt weiter fest, dass bei der Kontrolle der AVR diese, als im Arbeitsrecht geltende Besonderheit, angemessen zu berücksichtigen ist. Die AVR sind deshalb von den staatlichen Gerichten nur auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem zwingenden Recht und den guten Sitten zu überprüfen.
Wegen des besonderen, verfassungsrechtlich geschützten Charakters der auf dem Dritten Weg gefundenen und vom Dienstgeber gestellten AVR scheidet, anders als bei der üblichen AGB-Kontrolle, eine ergänzende Auslegung der AVR-Regelungen nicht nur dann aus, wenn die Arbeitsrechtliche Kommission regelungsbedürftige Fragen bewusst ungeregelt gelassen hat und diese Entscheidung im Einklang mit höherrangigem Recht steht. Sie ist auch dann nicht möglich, wenn der Kommission ein Spielraum zur Schließung der Regelungslücke verbleibt. Dann muss es dieser überlassen bleiben, zu entscheiden, ob und wie sie die Lücke schließen will. Kommt eine Lückenschließung in Betracht, hat sich die ergänzende Auslegung an dem bestehenden System und dessen Konzeption und damit am Regelungsplan der Arbeitsrechtlichen Kommission zu orientieren.
Rechtliche Einordnung und Konsequenz für die ARV-Caritas
Die im Bereich der AVR der Diakonie angesiedelte Entscheidung ist auch auf die AVR-Caritas anwendbar, da beide Regelungswerke auf dem Dritten Weg zustande gekommene arbeitsrechtliche Regelungen sind. Die Entscheidung gibt eine Orientierung für die zukünftige gerichtliche Handhabung bezüglich der AVR und ihrer Einbeziehung als Allgemeine Geschäftsbedingung der besonderen Art. Gerichte sollen zudem eine ergänzende Vertragsauslegung bei Regelungslücken in den AVR unterlassen, soweit durch die Arbeitsrechtlichen Kommissionen regelungsbedürftige Fragen, die mit höherrangigem Recht vereinbar sind, bewusst unterlasen wurden oder ein Spielraum für die Schließung von Regelungslücken verbleibt. Bei Schließung von Regelungslücken hat sich eine ergänzende Auslegung durch das Gericht an den Besonderheiten der Arbeitsrechtlichen Kommissionen zu orientieren.
Damit gibt die BAG-Entscheidung neben der Feststellung des besonderen Charakters der AVR als ein verfassungsrechtlich geschütztes Spezifikum des Dritten Weges auch einen wichtigen Hinweis auf den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Dritten Weges in Form seiner Arbeitsrechtlichen Kommissionen sowie deren Arbeitsweise und Entscheidungsfreiheit. Das erscheint gerade in Zeiten, in denen der Dritte Weg immer wieder in Frage gestellt wird, als wichtiger Verweis auf dessen verfassungsrechtlich garantierte Berechtigung und Eigenständigkeit.
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