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(v.l.n.r.) Oliver Hölters (Sprecher der Caritas Mitarbeiterseite), Thomas Rühl (Vorstand Caritas Mitarbeiterseite), Frank Bsirske (MdB, Bündnis 90/Die Grünen), Eva Maria Welskop-Deffaa (Präsidentin Deutscher Caritasverband)

"Rote Karte für Tarifflucht und prekäre Arbeit!" - am Parlamentarischen Abend der Caritas Mitarbeiterseite am 15. Mai 2024 diskutierten wir mit zahlreichen Gästen aus Politik, Gewerkschaften und Verbänden über Tarifbindung und armutsfeste Löhne.

In allen Redebeiträgen des diesjährigen Parlamentarischen Abends wurde deutlich, dass Tarifbindung ein Erfolgsfaktor für Gesellschaft, Wirtschaft und Demokratie ist. Angesichts des Arbeitskräftemangels sollte prekäre Arbeit keine Chance mehr haben. Auch die Forderung nach einem höheren Mindestlohn erhielt viel Zuspruch.

Wir bedanken uns für die Gastbeiträge von

  • Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes
  • Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im BMAS
  • Frank Bsirkse, MdB Bündnis 90/Die Grünen
  • Sylvia Bühler, ver.di Bundesvorstand

 

Oliver Hölters, Sprecher der Caritas Mitarbeiterseite:

"Warum setzt sich die Mitarbeiterseite einer paritätisch besetzten, kirchlichen Tarifkommission für Tarifverträge ein? Ganz einfach: Wir schauen über den Tellerrand. Und wir wissen um die engen tarifpolitischen Zusammenhänge zwischen drittem und zweitem Weg. Die Tarifverhandlungen und Tarifabschlüsse in der Arbeitsrechtlichen Kommission haben zeitlich und inhaltlich engen Bezug zu den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes. Das ist gut und richtig so - und zwar aus zwei Gründen:

Erstens bietet die Caritas als katholisches Angebot der freien Wohlfahrtspflege Dienstleistungen an, die zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören. Zweitens verstärken kirchliche Tarifwerke wie die AVR-Caritas die Flächenwirkung der Tarife des öffentlichen Dienstes.

Die letzte Tarifrunde hat wieder einmal deutlich gemacht: Mit der Eins-zu-Eins-Übernahme des Tarifabschlusses für die 2,6 Mio. Tarifbeschäftigte der Kommunen kommen noch einmal 700.000 Caritas-Beschäftigte hinzu. Wir als Vertreter des dritten Weges sind an einem gut funktionierenden zweiten Weg und starken Gewerkschaften interessiert.

Durch die Erosion der Tarifbindung ist eine genauso kuriose wie ärgerliche Situation entstanden: EU-Staaten, die weniger als 80 Prozent Tarifbindung haben, müssen ab November diesen Jahres einen Aktionsplan zur Erhöhung der Tarifbindung vorlegen. Das heißt für Deutschland: Zurück in die Tarifzukunft!

Denn: Mitte der 90er Jahre waren 80 Prozent der Beschäftigten hierzulande durch Tarifverträge geschützt. Aktuell sind es weniger als die Hälfte aller Arbeitnehmenden in Deutschland. Jetzt sind wir vor die Aufgabe gestellt, uns mühsam dahin zurück zu kämpfen, wo wir vor 30 Jahren schon einmal waren. Das ist genauso kurios wie ärgerlich.

Aber für das Gute lohnt es sich ja immer wieder zu kämpfen! Deshalb sind wir dabei. Der harte Wettbewerb um Arbeitskräfte wird anhalten. Das muss genutzt werden, um die Trendwende bei der Tarifabdeckung hierzulande zu schaffen und zu verstetigen. Das wird aber nicht von selbst passieren, sondern bedarf der politischen Flankierung. Notwendige gesetzgeberische Maßnahmen sind insbesondere die Stärkung der Nachwirkung von Tarifverträgen und die Erleichterung von Allgemeinverbindlicherklärungen.

Tarifwerke bieten viele Vorteile

  • Tarifwerke geben Planungssicherheit für Arbeitnehmende und Arbeitgebende. Tarifwerke sorgen für Motivation der Mitarbeitenden.
  • Tarifwerke fördern den sozialen Frieden im Betrieb.
  • Durch das insgesamt höhere Tariflohnniveau haben Fiskus und Sozialkassen höhere Einnahmen. Rechnet man noch die höhere Kaufkraft der privaten Haushalte durch Tariflöhne hinzu, entsteht der Volkswirtschaft durch Tarifflucht ein Schaden von 130 Milliarden Euro pro Jahr.

Solange die Tarifbindung so niedrig ist wie sie ist, braucht es einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn als Reißleine nach unten! Die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro durch die Bundesregierung ohne Konsultation der Mindestlohnkommission war richtig. Die Mindestlohnerhöhung durch die Mindestlohnkommission auf magere 12,41 Euro war ernüchternd. Ich hätte ein Ergebnis erwartet, das – aufbauend auf 12 Euro – die tarifliche Lohnentwicklung der Jahre 2024/2025 abbildet.

Noch plausibler wäre allerdings, den gesetzlichen Mindestlohn gemäß EU-Mindestlohnrichtlinie von vornherein auf 60 Prozent des nationalen Medianlohns festzulegen. Das wären derzeit 13,53 Euro pro Stunde. Unterhalb dieser Schwelle dürfte die Mindestlohnkommission gar kein Beschlussrecht haben.

Tarifbindung erhöht die Arbeitsplatzqualität

Befristete Beschäftigung verringert die Arbeitsplatzqualität. Deshalb möchte ich auf einen Klassiker prekärer Arbeit zu sprechen kommen: die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen. Die Mitarbeiterseite der Zentralen Arbeitsrechtlichen Kommission hat versucht, die sachgrundlose Befristung bei katholischer Kirche und Caritas abzuschaffen. Am Ende jahrelanger, harter, auch gerichtlicher Auseinandersetzungen mit der Dienstgeberseite steht ein sperriger Schlichterspruch. Erreicht wurde zwar der grundsätzliche Ausschluss sachgrundloser Befristungen.

Das Beispiel zeigt: Tarifliche Lösungen sind konfliktbeladen, langwierig und führen zu immer komplexeren Lösungen mit zahlreichen Schlupflöchern zulasten der Mitarbeitenden. Wir fordern den Gesetzgeber auf, die sachgrundlose Befristung ersatzlos abzuschaffen!

Wir erleben in diesen Wochen eine sich verstärkende Debatte um das Thema Arbeitszeit. Das Credo der Arbeitgeberverbände ist altbekannt: Die Deutschen arbeiten angeblich zu wenig. Die tägliche Arbeitsrealität ist eine andere: Im Jahr 2023 wurden hierzulande 1,3 Milliarden Überstunden geleistet. Weniger als die Hälfte davon wurden bezahlt.

Im Gesundheitswesen sowie im Sozial- und Erziehungsdienst ist die Arbeitsbelastung und damit die gesundheitliche Belastung der Beschäftigten besonders hoch. Umso wichtiger ist, weiterhin im Arbeitszeitrecht die Begrenzung der täglichen Höchstarbeitszeit auf 10 Stunden, der wöchentlichen Arbeitszeit auf 48 Stunden sowie eine Mindestruhezeit von 11 Stunden als Mindestmaß abzusichern.

Flexibilität bei der Lage und Verteilung der Arbeitszeit findet dort ihre Grenze, wo Planbarkeit und Verlässlichkeit für Arbeitnehmende nicht mehr gegeben sind. Zufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigten sind die Grundlagen für deren Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz. Der Achtstundentag darf nicht zum groben Anhaltswert degradiert werden. Er muss die Regel und der Maßstab bleiben!

Im Rettungsdienst tut sich eine große Tariflücke auf: Das Sozialgesetzbuch V behandelt rettungsdienstliche Leistungen nicht wie medizinische Leistungen, sondern wie Transportdienstleistungen. Das wird der verantwortungsvollen Tätigkeit meiner Kolleginnen und Kollegen im Rettungsdienst in keiner Weise gerecht.

Das Fachpersonal im Rettungsdienst stimmt inzwischen mit den Füßen ab. Viele Kollegen und Kolleginnen verlassen den Rettungsdienst. Es braucht Bleibeanreize in Form einer leistungsgerechten Vergütung und zeitgemäßer Arbeitsbedingungen – zwingend die sofortige Reduzierung der Arbeitszeit. Ohne Rettungsfachkräfte braucht man mit einer Reform der Notfallversorgung nämlich gar nicht erst anzufangen.

Wir leben in konflikt- und krisenreichen Zeiten. Der Dauerkrisenmodus darf nicht zum Dauerfrustmodus werden. Für das Politikfeld Arbeit und Soziales heißt das, Stabilitätsanker zu setzen. Und das sind vor allem unbefristete, tarifgebundene Arbeitsplätze mit geregelten Arbeitszeiten."

 

Torsten Böhmer
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
 030 - 6796 936 31
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Oliver Hölters
Sprecher der Mitarbeiterseite
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ak.mas PolitikBrief 2024

Rote Karte für Tarifflucht und prekäre Arbeit -- Sachgrundlose Befristung abschaffen -- Arbeitsbelastung reduzieren -- Rettungsdienst wartet weiter auf Reformen
PDF | 709.66 KB | 17. Mai, 2024

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