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In dieser Ausgabe

  1. Rechtswidrige Kündigung und Abschluss eines neuen Arbeitsverhältnisses = doppelter Urlaub?
  2. Teilzeitwünsche von Mitarbeitenden bezüglich fixer Tage und bestimmter Zeiträume in beliebten Urlaubs- und Ferienzeiträumen
  3. Verwertung des WhatsApp-Verlauf auf dem Dienstrechner?
  4. Arbeitnehmerüberlassung – Zulässigkeit der Besserstellung von Leiharbeitnehmern gegenüber den eigenen Arbeitnehmern

 

1. Rechtswidrige Kündigung und Abschluss eines neuen Arbeitsverhältnisses = doppelter Urlaub?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 5.12.2023 (9 AZR 230/22) zu den Fragen entschieden, was mit dem Urlaubsanspruch geschieht, wenn ein Arbeitnehmer nach einer rechtswidrigen Kündigung einer anderen Beschäftigung nachgeht, also sich zwei Arbeitsverhältnisse überschneiden. Entstehen dann Urlaubsansprüche sowohl gegen den alten Arbeitgeber, dessen Kündigung rechtswidrig war und daher das Arbeitsverhältnis nicht beendete als auch gegenüber dem neuen Arbeitgeber, mit dem nach der rechtswidrigen Kündigung ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen wurde? Und falls dem so ist, wie ist dann mit den doppelten Urlaubsansprüchen umzugehen?

Der Fall

Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2020 und 2021. Die Klägerin war beim Beklagten bzw. seiner Rechtsvorgängerin als Fleischereifachverkäuferin in einer Fünftagewoche beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 29.10.2014 regelt u.a.:

„§ 12. Urlaub

Die Urlaubsdauer beträgt 30 Werktage. Im Übrigen gelten die den Urlaub betreffenden Rege-lungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes und des Bundesurlaubsgesetzes.“

Der Beklagte kündigte 2019 das Arbeitsverhältnis fristlos. Der dagegen erhobenen Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig stattgegeben und festgestellt, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete dann schließlich aufgrund einer neuen, außerordentlichen Kündigung des Beklagten Ende Mai 2021.

Im Februar 2020, noch während der Kündigungsschutzprozess lief, begann die Klägerin ein neues Arbeitsverhältnis. In diesem erhielt sie 25 Arbeitstage Urlaub für das Jahr 2020 und in der Zeit vom 1. Januar 2021 bis zur Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses Ende Mai 2021 zehn Tage Urlaub. Die Klägerin machte zuletzt die Abgeltung von insgesamt Sieben Arbeitstagen vertraglichen Mehrurlaubs (fünf Arbeitstage aus dem Jahr 2020 und zwei Arbeitstage aus dem Jahr 2021) geltend. Ihrer Auffassung nach scheide eine Anrechnung des in dem neuen Arbeitsverhältnis gewährten Urlaubs auf den vertraglichen Mehrurlaub aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten aus. Die Wertungen des Bundesurlaubsgesetzes zum gesetzli-chen Mindesturlaub ließen sich nicht auf den Mehrurlaub übertragen.

Der Beklagte vertrat demgegenüber die Ansicht, die Klägerin müsse sich den Urlaub, der ihr durch den neuen Arbeitgeber gewährt wurde, voll anrechnen lassen.

Die Entscheidung

Das BAG urteilte, dass für den Zeitraum der zeitlichen Überschneidung beider Arbeitsverhältnisse ungeminderte Urlaubsansprüche sowohl gegenüber dem alten als auch gegenüber dem neuen Arbeitgeber entstehen. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht hätte nebeneinander erfüllen können.

In dem Urteil wird sehr gut und deutlich nochmals klargestellt, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt, §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG. Der Urlaubsanspruch steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs ist nach § 3 Abs. 1 BUrlG zu berechnen.

Für die Mitarbeitenden wichtig zu wissen ist, dass der Zeitraum ohne Beschäftigung nach Ausspruch einer unwirksamen Kündigung grundsätzlich einem tatsächlichen Arbeitszeitraum gleichzustellen ist. Das ist die Konsequenz daraus, dass der Arbeitgeber mit der unwirksamen Kündigung seine Pflicht verletzt hat, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Jahresurlaub zu nehmen.

Dies gilt nach den Wertungen des Bundesurlaubsgesetzes auch bei Vorliegen sogenannter Doppelarbeitsverhältnisse. Für das Entstehen des Urlaubsanspruchs ist ohne Bedeutung, dass der Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess den Fortbestand seines gekündig-ten Arbeitsverhältnisses geltend macht und währenddessen ein anderes Arbeitsverhältnis eingeht. Wird der Kündigungsschutzklage stattgegeben, bestehen zunächst in beiden Arbeitsverhältnissen Urlaubsansprüche, obwohl der Arbeitnehmer die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig erfüllen konnte.

Das BAG begründet das so: Hinderte bereits das Vorliegen eines Doppelarbeitsverhältnisses per se das Entstehen des Urlaubsanspruchs in einem der Arbeitsverhältnisse, trüge – entgegen der Konzeption des Bundesurlaubsgesetzes – allein der Arbeitnehmer das Risiko der Nichterfüllung seines Urlaubsanspruchs. Vielmehr entsteht gem. § 4 BUrlG nach erfüllter Wartezeit in jedem Arbeitsverhältnis dem Grunde und der Höhe nach der volle Urlaubsanspruch. Dem entspricht die Regelung in § 6 Abs. 1 BUrlG, der zufolge der Anspruch auf Urlaub nicht besteht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Bei einem Wechsel des Arbeitgebers während des Urlaubsjahres steht dem neuen Arbeitgeber keine Anrechnungsbefugnis zu, wenn der frühere Arbeitgeber Urlaub nicht erteilt oder nicht abgegolten hat.

Damit ist die Frage, ob Urlaubsansprüche sowohl gegen den alten Arbeitgeber, dessen Kündigung rechtswidrig war und daher das Arbeitsverhältnis nicht beendete als auch gegenüber dem neuen Arbeitgeber, mit dem nach der rechtswidrigen Kündigung ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen wurde, mit Ja beantwortet.

Für den Umgang mit diesen doppelten Urlaubsansprüchen in Fällen, in denen ein Arbeitnehmer, den sein früherer Arbeitgeber aufgrund einer unwirksamen Kündigung nicht beschäftigt, mit einem anderen Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis begründet, ohne die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen erfüllen zu können, enthält das Gesetz keine explizite Regelung. Die Regelungslücke schließt das BAG durch eine analoge Heranziehung des §11 Nr. 1 KSchG und des § 615 S. 2 BGB.

Zur Vermeidung doppelter Urlaubsansprüche ist der Urlaub, den der Arbeitnehmer vom neuen Arbeitgeber erhalten hat, in entsprechender Anwendung von § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB auf den Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch gegen seinen alten Arbeitgeber anzurechnen. Wichtig hierbei ist, dass die Anrechnung kalenderjahresbezogen erfolgen muss. Damit erhält der Arbeitnehmer nicht mehr, aber auch nicht weniger, als er bei normaler Ab-wicklung des Dienstverhältnisses erhalten hätte. Wäre der frühere Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer im Hinblick auf die in seinem Arbeitsverhältnis entstandenen Urlaubsansprüche freizustellen, obwohl der spätere Arbeitgeber ihm bereits bezahlten Jahresurlaub gewährt hat, läge eine nach den Wertungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht vorgesehene Verdopplung des Urlaubsanspruchs vor.

Zu beachten ist, dass eine Anrechnung von Urlaubsansprüchen voraussetzt, dass zwischen dem kündigungsbedingten – rein tatsächlichen – Freiwerden des Arbeitnehmers von der Verpflichtung, seine Arbeitspflicht in dem früheren Arbeitsverhältnis zu erfüllen, und dem Erwerb von Urlaubsansprüchen in dem neuen Arbeitsverhältnis ein kausaler Zusammenhang besteht. Anhaltspunkte hierfür können sich sowohl aus objektiven als auch aus subjektiven Umständen ergeben. Von einer Kausalität ist im Regelfall auszugehen, wenn der Arbeitnehmer anstelle des früheren Vollarbeitsverhältnisses ein Arbeitsverhältnis bei einem neuen Arbeitgeber begründet, dass ebenfalls eine vollzeitige Beschäftigung zum Gegenstand hat.

Die Anrechnung ist kalenderjahresbezogen vorzunehmen, da die Systematik des BUrlG zu beachten ist. Danach bezieht sich der Urlaubsanspruch jeweils auf ein Kalenderjahr. Ebenfalls wichtig in dem Zusammenhang ist, dass diese jahresbezogene Anrechnung grundsätzlich auch für den vertraglichen Mehrurlaub gilt. Es ist also nicht nur der gesetzliche Mindesturlaub erfasst. Die Anrechnung bezieht sich auf den vertraglichen Mehrurlaub, sofern keine deutlichen Anhaltspunkte vorliegen, wonach der vertragliche Mehrurlaub einer Anrechnung entzogen ist. Das kann durch eine tarifliche oder vertragliche Regelung der Fall sein.

Fazit

Es entstehen zwar doppelte Urlaubsansprüche – sowohl gegenüber dem neuen als auch gegenüber dem alten Arbeitgeber. Aber es kann eine Anrechnung erfolgen.

In dem Augenblick, in dem der neue Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub gewährt und der Arbeitnehmer diesen in Anspruch nimmt, wird der Urlaubsanspruch gegen den früheren Arbeitgeber, mit dem er zuerst ein Arbeitsverhältnis begründet hat, in diesem Maße gemindert. Somit entsteht keine „Verdopplung“ des Urlaubs.

Jedoch muss stets gewährleistet sein, dass der Arbeitnehmer seinen unabdingbaren gesetzlichen Mindesturlaub erhält. Deshalb kann der im neuen Arbeitsverhältnis erhaltene Urlaub nicht im Wege einer Gesamtberechnung für den gesamten Überschneidungszeitraum der beiden Arbeitsverhältnisse erfolgen. Eine Anrechnung kann nur kalenderjahresbezogen auf die Urlaubsansprüche gegen den ursprünglichen Arbeitgeber geschehen. Durch die Bindung des Urlaubs an das Kalenderjahr soll gewährleistet werden, dass der Erholungszweck in jedem Jahr erfüllt wird.

Dies gilt gemäß dem BAG sowohl für den gesetzlichen Mindesturlaub als auch für den vertraglichen Mehrurlaub, soweit nicht deutliche Anhaltspunkte für eine abweichende Vereinbarung vorliegen. Die Anlage 14 AVR enthält keine solche abweichende Regelung.


 

2. Teilzeitwünsche von Mitarbeitenden bezüglich fixer Tage und bestimmter Zeiträume in beliebten Urlaubs- und Ferienzeiträumen

LAG Hessen, Urteil vom 6. März 2023 (Erscheinungsdatum 4. Dezember 2023), 17 Sa 833/22, 17 Sa 450/23

Der Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Verringerung der jährlichen Arbeitszeit des klagenden Mitarbeiters, der im beklagten Luftfahrtunternehmen als Flugzeugführer tätig ist. Der Mitarbeiter beantragte die Verringerung seiner Arbeitszeit auf 88,76 Prozent und zugleich eine Neuverteilung durch konkrete Freistellung jeweils vom 1. Juli. bis 31. Juli und vom 23. Dezember bis 1. Januar, beginnend ab dem Jahr 2022. Dies lehnte der Arbeitgeber mit der Argumentation ab, es gebe im betreffenden Arbeitsbereich keine „Jahresarbeitszeit“, die verringert werden könnte. Die vom Mitarbeiter begehrte Reduzierung seiner Arbeitszeit an zeitlich fixierten Tagen über Weihnachten und in betrieblich definierten Sperrzeiten, so die weitere Argumentation des Arbeitgebers, sei betriebsorganisatorisch so nicht vorgesehen. Zudem stehe dem Verringerungsverlangen des Mitarbeiters der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen, da der Mitarbeiter sich unter Inkaufnahme einer unwesentlichen Arbeitszeitverringerung eine bestimmte Verteilung der Arbeitszeit verschaffen will, die ihm auf anderer Weise auch zugestanden hat.

Die Entscheidung

Das LAG bestätigte mit seinem Urteilsspruch die Entscheidung des ArbG Frankfurt/Main (Urteil vom 4. Mai 2022, Az.: 14 Ca 5972/21), dass im vorliegenden Streitfall dem Teilzeitbegehren des Mitarbeiters keine betrieblichen Gründe i. S. d. Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) entgegenstehen. Es sei nach Auffassung des Gerichts unerheblich, dass die vom Mitarbeiter beantragte Teilzeit mit zeitlich fixierten Tagen keinem der vom Arbeitgeber angebotenen Teilzeitmodelle entspreche. Denn die mit den durch das TzBfG eröffneten Reduzierungsmöglichkeiten können durch betriebliche Teilzeitmodelle oder einseitig festgelegte Sperrzeiträume des Arbeitgebers nicht zu Lasten der Arbeitnehmer beschränkt werden.

Dem Verringerungs- und Umverteilungsanspruch des klagenden Mitarbeiters stehe auch der Einwand des Rechtsmissbrauches nicht entgegen. Das TzBfG enthalte nach Darlegung des Gerichts gerade keine Vorgaben hinsichtlich des Umfangs der Vertragsänderung und knüpfe den Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit auch nicht an ein Mindestmaß der Arbeitsreduzierung. Arbeitnehmer können daher grundsätzlich auch einen Anspruch auf eine verhältnismäßig geringfügige Verringerung ihrer Arbeitszeit haben und die Beweggründe dafür müssen nicht offengelegt werden. Allein der Gesetzeszweck des TzBfG widerspreche einem solchen Begründungszwang. Die Intention des Gesetzgebers ziele nämlich nicht auf die gesetzliche Förderung von Teilzeitbeschäftigungen bestimmter Arbeitnehmer ab, sondern generell auf die Förderung der Teilzeitarbeit. Der Ausbau von Teilzeitarbeit fördert insofern nicht nur die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen und die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sondern berücksichtigt auch die unterschiedlichen Lebensentwürfe der Arbeitnehmer. Damit seien sämtliche Lebensentwürfe der Arbeitnehmer, wie bspw. Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Wunsch, ehrenamtliche Aufgaben wahrzunehmen, andere außerberufliche Interessen zu verfolgen sowie zusätzliche Qualifikationen zu erwerben, vom Gesetzeszweck umfasst. Der Arbeitgeber kann dem Teilzeitbegehren des Mitarbeiters somit lediglich betriebliche Gründe entgegenhalten.

Fazit

Das Teilzeitverlangen der Mitarbeiter und insbesondere die damit verbundene Neuverteilung der Arbeitszeit nach den Wünschen des Mitarbeiters führen in der betrieblichen Praxis oft zu Problemen mit dem Dienstgeber, der entgegenstehende betriebliche Interessen als Versagungsgrund anführt.

Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG hat der Arbeitgeber der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Das ist im Einzelfall stets zu prüfen. Ein entgegenstehender betrieblicher Grund liegt gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG insbesondere vor, wenn die Umsetzung des Arbeitszeitverlangens die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Insoweit genügt es, wenn der Arbeitgeber rational nachvollziehbare, hinreichend gewichtige Gründe hat, der Verringerung der Arbeitszeit nicht zuzustimmen. Der Arbeitgeber kann die Ablehnung jedoch nicht allein mit seiner abweichenden unternehmerischen Vorstellung von der „richtigen“ Arbeitszeit(-verteilung) begründen. § 8 Abs. 4 TzBfG sieht aber gerade nicht vor, dass dem Teilzeitverlangen und der Verteilung der verbleibenden Arbeitszeit Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegengehalten werden können.

Die Prüfung, ob betriebliche Gründe entgegenstehen, ist regelmäßig in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst ist festzustellen, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegt und – wenn das der Fall ist – um welches Konzept es sich handelt (erste Stufe). In der Folge ist zu untersuchen, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen tatsächlich entgegensteht (zweite Stufe). Schließlich ist das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen (dritte Stufe). Dabei ist die Frage zu klären, ob das betriebliche Organisationskonzept oder die zugrundeliegende unternehmerische Aufgabenstellung durch die vom Arbeitnehmer gewünschte Abweichung wesentlich beeinträchtigt wird. Maßgeblich für das Vorliegen der betrieblichen Gründe ist der Zeitpunkt der Ablehnung des Arbeitszeitwunschs durch den Arbeitgeber, der die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen entgegenstehender betrieblicher Gründe trägt.

Das Urteil des LAG Hessen macht nochmals deutlich, wie schwer es für Arbeitgeber eigentlich ist, konkreten auch exotischen Teilzeitwünschen von Mitarbeitern, rechtlich begründet entgegenzutreten und diese abzulehnen. Zukünftig ist auch im Hinblick auf dieses Urteil daher nicht auszuschließen, dass einzelne Mitarbeiter sich dauerhaft bestimmte individuelle Urlaubszeiten im Jahr sichern wollen und aus persönlichem Interesse auch zu solchen „verblockten Teilzeitanträgen“ greifen könnten. Die von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen, ein solches individuelles Teilzeitverlangen arbeitgeberseitig begründet abzulehnen, sind dabei sehr hoch. Es dürfte in der Praxis also schwer sein, individuelle Teilzeitverlangen überhaupt abzulehnen.

Das Urteil des LAG macht noch einmal die Weite bei Teilzeitwünschen und die damit verbunden die Chancen für Mitarbeitern deutlich, die gewünschte Teilzeit tatsächlich auch individuell zu gestalten. Zugleich eröffnet sich damit aber auch das Risko des rücksichtslosen Ausnutzens für individuelle Freizeitwünsche zulasten der übrigen Mitarbeiter.


 

3. Verwertung des WhatsApp-Verlauf auf dem Dienstrechner?

In der heutigen Arbeitswelt ist es weit verbreitet, dass der Mitarbeiter einen Dienstrechner bzw. Laptop zur Verfügung gestellt bekommen. Oftmals dürfen diese Rechner nur für dienstliche Zwecke verwendet werden und eine private Nutzung ist ausgeschlossen. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Mitarbeiter private Kommunikation über den Dienstrechner abwickeln. Sei es per Mail, WhatsApp, Facebook usw.. Die Hürden dafür sind nicht besonders hoch, ist doch alles nur ein Klick im Internet entfernt.

Darf ein Arbeitgeber diese private Kommunikation auf dem Dienstgerät heimlich auswerten und ggfs. vor Gericht verwenden?

Mit dieser Frage hat sich das LAG Bremen im Urteil vom 07.11.2023 – 1 Sa 53/23 beschäftigt.

Der Fall

Die Klägerin arbeitete beim Arbeitgeber mit weiteren Kolleginnen. Einer Kollegin ist ein 50-Euro-Schein auf der Arbeit abhandengekommen und sie hat dem Arbeitgeber darüber informiert, dass dafür nur die Klägerin in Betracht kommen könne. Daraufhin hat der Arbeitgeber den Dienstrechner kontrolliert und dabei auch den privaten WhatsApp-Verlauf durchsucht und Anhaltspunkte für eine vorgetäuschte Krankheit gefunden. Daraufhin hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einer außerordentlichen Kündigung beendet und argumentierte vor Gericht mit den WhatsApp-Verlauf.

Der Fall ist eigentlich umfangreicher und komplexer, aber wir beschäftigen uns hier nur mit der Verwertbarkeit des WhatsApp-Verlaufes.

Die Entscheidung

Tatsachen von denen ein Arbeitgeber dadurch Kenntnis erlangt, dass er nach einem lediglich vagen Hinweis auf das Vorliegen einer Straftat, die auf dem Dienstrechner einer Arbeitnehmerin über die Anwendung „WhatsApp-Web“ einzusehende WhatsApp-Korrespondenz eines ersichtlich ausschließlich privat genutzten WhatsApp-Accounts gelesen und im Hinblick auf das Vorliegen etwaiger Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerin ausgewertet hat, unterliegen wegen des hiermit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin regelmäßig einem Sachvortragsverwertungsverbot. Dies gilt auch, wenn die private Nutzung des Dienstrechners untersagt war.

Das Gericht hat in seiner Entscheidung ein Sachvortragsverwertungsverbot angenommen, dies geht weiter als ein Beweisverwertungsverbot. Bei einem Beweisverwertungsverbot darf das Gericht den Vortrag der Partei zwar berücksichtigen, aber den WhatsApp-Verlauf nicht nutzen, um diesen Vortrag zu beweisen. Dieser Beweis müsste auf anderer Weise gelingen. Bei einem Sachvortragsverwertungsverbot darf auch der Vortrag der Partei, welcher auf diesen Verlauf beruht gar nicht erst berücksichtigt werden, die Gegenpartei muss daher darauf auch gar nicht eingehen. Es reicht ein Hinweis darauf, dass dieser Vortrag nicht verwertet werden darf.

Das Gericht begründet diese Entscheidung überzeugend damit, dass die heimliche Auswertung einen so massiven Eingriff in den Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes darstellt, dass dieser nicht durch einen bloßen Verdacht einer Straftat nicht gerechtfertigt sein kann. Durch die Auswertung des Verlaufes ist der Eingriff darüber hinaus auch so massiv, dass auch konkrete Verdachtstatsachen zu keinem anderen Ergebnis geführt hätten. Der Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes ist durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz geschützt, so dass Eingriffe dafür besonders hohe Anforderungen an die Rechtfertigung erfüllen müssen. Auch der Umstand der verbotenen privaten Nutzung ändert daran nichts.

Fazit

Das Persönlichkeitsrecht hat einen hohen Stellenwert im Grundgesetz. Eingriffe darin bedürfen immer eine Rechtfertigung, je schwerer der Eingriff umso höher die Anforderungen an die Rechtfertigung. Die unerlaubte Nutzung von Dienstgeräten für private Zwecke lässt damit diesen Schutz auf Privatsphäre nicht entfallen.


 

4. Arbeitnehmerüberlassung – Zulässigkeit der Besserstellung von Leiharbeitnehmern gegenüber den eigenen Arbeitnehmern

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 5. Kammer, Urteil vom 09.01.2024, AZ: 5 Sa 37/23

Leitsätze des Gerichtes

  1. Ein Arbeitnehmer wird nicht deshalb zu einem Leiharbeitnehmer, weil seine direkten Vorgesetzten und die Mehrzahl der Mitarbeiter im Betrieb nicht in einem Arbeitsverhältnis zu der Arbeitgeberin stehen, sondern als Leiharbeitnehmer aus einem anderen (konzernangehörigen) Unternehmen oder als zugewiesene Beamte beschäftigt sind.
  2. Der Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG schützt Leiharbeitnehmer vor einer Schlechterstellung gegenüber einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer. Er schützt jedoch nicht die Stammarbeitnehmer. Ein Anspruch auf Gewährung des Entgelts der besser vergüteten Leiharbeitnehmer ergibt sich daraus nicht.

Der Sachverhalt

Die Parteien streiten darüber, ob sich die Beschäftigung der Klägerin, einer Call-Center-Agentin im Servicecenter, rechtlich als Arbeitnehmerüberlassung darstellen könnte und ihr deshalb neben der Erteilung der Auskunft über die Arbeitsbedingungen, insbesondere die günstigere Vergütung der anderen Beschäftigter zu gewähren ist, die bei der beklagten Arbeitgeberin temporär als Leiharbeiter beschäftigt sind.

Die Entscheidung

Im ersten Teil des Urteils führt das LAG kurz aus, warum die klagende Mitarbeiterin nicht im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG als Leiharbeitnehmerin bei der beklagten Arbeitgeberin überlassen wurde und weshalb deswegen auch kein Auskunftsanspruch zu den Arbeitsbedingungen der eingesetzten Leiharbeitnehmern besteht. Darauf soll hier aber nicht näher eingegangen werden.

Im zweiten Teil des Urteils geht das LAG kurz und prägnant darauf ein, warum die klagende Arbeitnehmerin gegenüber der beklagten Arbeitgeberin keinen Anspruch auf Gewährung derjenigen Arbeitsbedingungen einschließlich der Vergütung hat, die für die im Betrieb tätigen Leiharbeitnehmer gelten. Dabei geht das Gericht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ein, aus dem sich ein solcher Anspruch nicht ergibt. Dieser allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet nach der Auffassung der ständigen Rechtsprechung, der sich das LAG hier anschließt, dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er verbietet damit nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet danach den Arbeitgeber nur hinsichtlich seiner eigenen Arbeitnehmer als vergleichbare Gruppe. Die Arbeitsbedingungen entliehener Arbeitnehmer werden hingegen von dem Verleiher festgelegt. Dementsprechend entscheidet die beklagte Arbeitgeberin nicht über die Arbeitsbedingungen der von ihr entliehenen Arbeitnehmer. Die Gruppe der Leiharbeitnehmer ist somit nach dem arbeitsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz eine sachfremde Gruppe und nicht vergleichbar mit der Gruppe der Stammbeschäftigten.

Fazit

Immer wieder kommt es auch im Anwendungsbereich der AVR und dort vor allen in Krankenhäusern vor, dass aufgrund akuter oder kurzfristiger Personalengpässe bspw. Ärzte oder Pflegepersonal, insbesondere im OP-Bereich, auf Basis von Arbeitnehmerüberlassung tätig werden. Diese Leiharbeitnehmer und -arbeitnehmerinnen werden zwischenzeitlich oftmals besser bezahlt bzw. haben günstigere Arbeitsbedingungen als Stammbeschäftigte (Einsatz nur während der Kernarbeitszeit, keine Dienste). Das führt unter der Stammbelegschaft dann zu Unmut. Einen Anspruch auf gleiche Vergütung besteht nach dem arbeitsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz dennoch nicht. Der spezielle Gleichstellungsgrundsatz nach dem § 8 Abs. 1 des AÜG schützt nur den Leiharbeitnehmenden vor einer Schlechterstellung, nicht aber umgekehrt die Stammbeschäftigten. Hinsichtlich des Einsatzes von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern wurde der Gleichbehandlungsgrundsatz auch in § 24 im Allgemeinen Teil der AVR aufgenommen. Die betreffenden Leihmitarbeiter dürfen nach AVR mit ausdrücklichem Verweis auf § 8 Abs. 1 AÜG nicht schlechter gestellt werden als für die Einrichtung und Dienststellen des Entleihers vergleichbare Mitarbeiter des Entleihers. Auch hier ist der umgekehrte Fall nicht bedacht und führt ungeachtet einer gefühlten Ungleichbehandlung nicht zu einem Anspruch auf Gewährung des Entgelts der besser vergüteten Leiharbeitnehmer.

 

Rechtlicher Hinweis / Haftungsausschluss

Die Inhalte sind unbedingt bezogen auf den konkreten Einzelfall zu überprüfen. Es wird keinerlei Haftung für die Aktualität, Richtigkeit sowie Vollständigkeit der Darlegungen und der zitierten Urteile und Vorschriften von den Verfassern übernommen. Ziehen Sie in Erwägung, sich bei individuellen Fragestellungen beispielsweise an Ihre Mitarbeitervertretung, Gewerkschaft oder einen Rechtsanwalt zu wenden!

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RECHT INFORMIERT 2024/02

Nach Jobwechsel doppelter Urlaub? -- ungewöhnliche Teilzeitwünsche -- Verwertung des WhatsApp-Verlaufs auf Dienst-PC -- Besserstellung von Leiarbeitnehmenden
PDF | 228.91 KB | 10. Mai, 2024

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