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Für Ansprüche, die bis zum 31. Mai 2020 entstanden, gilt die dreijährige Regelverjährung.

I. Hintergrund

Wir berichteten bereits vom Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30. Oktober 2019, Az. 6 AZR 465/18, in dessen Folge die Ausschlussfrist nach § 23 AT-AVR unwirksam wurde.1

Die Dienstgeber versuchten durch einen Änderungsantrag und eine entsprechende Umformulierung wieder zum alten Zustand zurückzukehren. Aus Sicht der Mitarbeiterseite standen die Kolleginnen und Kollegen jedoch im Regelfall mit der neuen Situation besser dar. Da der Antrag der Dienstgeberseite keine Mehrheit in der Bundeskommission fand, landete das Thema im Vermittlungsausschuss. Dieser schloss sich im Februar 2020 der Auffassung der Dienstgeberseite an. Da in der zweiten Stufe des Vermittlungsausschusses aufgrund der überwiegenden Personenidentität in der Vermittlung kein anderes Ergebnis zu erwarten war, stimmte die Mitarbeiterseite in der (virtuellen) Sitzung der Bundeskommission im Juni 2020 dem Antrag der Dienstgeberseite zu.

Im Rahmen von Nachverhandlungen gelang es jedoch der Mitarbeiterseite, statt der Wirksamkeit des Beschlusses vom 31. Oktober 2019 den 1. Juni 2020 zu vereinbaren. Ferner verständigten sich beide Seiten darauf, das Thema Ausschlussfristen nachzuverhandeln. Anpassungen im Nachgang sind zu erwarten.

Sollten Dienstgeber zur Erfüllung der Nachweispflicht nach dem Nachweisgesetz 2 die im BK-Beschluss verwendete Formulierung zur Unterschrift vorlegen – also wirklich genau den aktuell gültigen AVR-Text – spricht nichts dagegen, den Empfang zu quittieren. Beim Nachweisgesetz handelt es sich um einen Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber. Diesem dem Nachweis seiner Pflicht zu verweigern, wenn sie zu keinen Rechtsnachteilen führt – wie hier der Fall – wäre treuwidrig. Zur Vorlage dieses Textes bleibt der Dienstgeber auch nach dem BK-Beschluss weiterhin verpflichtet.

II. Folgen

In der Folge ist die Geltendmachung von Ansprüchen, welche ab dem 1. Juni 2020 entstehen, nur sechs Monate rückwirkend möglich. Umgekehrt gilt für Ansprüche, deren Entstehung davor lag, weiterhin die dreijährige Regelverjährung. Grundsätzlich ist zu beachten, dass es dem Anspruchsinhaber tatsächlich möglich sein muss, seinen Anspruch geltend zu machen. Der Anspruchsinhaber muss also wissen, dass ihm ein Anspruch zusteht. Der Dienstgeber hat sich das Verhalten und die Kenntnis seiner Mitarbeiter zurechnen zu lassen. Bei Zahlungsansprüchen ist eine Geltendmachung erst möglich, wenn die Forderung wenigstens annähernd beziffert werden kann. Der Anspruchsinhaber, Mitarbeiter bzw. Dienstgeber, ist aber verpflichtet, sich den erforderlichen Überblick ohne schuldhaftes Zögern zu verschaffen. 3

Der Nachweis der Ausschlussfrist ist nach wie vor erforderlich:

Erfüllt der Dienstgeber seine Pflicht nach dem Nachweisgesetz nicht, so macht er sich wegen Verletzung des Nachweisgesetzes schadensersatzpflichtig. Praktisch bedeutet das, dass dies auch für Ansprüche gilt, die ab dem 1. Juni 2020 entstanden sind. Macht ein Mitarbeiter zum Beispiel Vergütungsansprüche gegenüber dem Dienstgeber geltend, die länger als 6 Monate zurück liegen, ist der Dienstgeber für die länger als 6 Monate zurückliegenden Ansprüche nicht automatisch befreit von einer Zahlungspflicht, wenn er der Nachweispflicht nicht nachkam. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Ansprüche ist der Dienstgeber gegenüber dem Mitarbeiter zum Ersatz des Verzugsschadens verpflichtet.

III. Welche Ansprüche werden von der Ausschlussfrist nach § 23 AVR erfasst?

Hier folgen als Beispiele Ansprüche, die nach dem derzeitigen Wortlaut des § 23 AVR von der Ausschlussfrist erfasst sind.

  • Zahlung der sich aus den AVR ergebenden Vergütung (Regelvergütung bzw. Tabellenentgelt, Zulagen, Überstunden-, Mehrarbeits-, Bereitschaftsdienst- und Rufbereitschaftsdienstvergütung, Zuschläge, Annahmeverzugslohn oder alternative Verrechnungen, z. B. Arbeitszeitkonten, Weihnachtszuwendung, Jahressonderzahlung usw.)
  • Zahlung von Urlaubsvergütung oder Urlaubsabgeltung, auch für Schwerbehindertenzusatzurlaub gemäß § 208 SGB IX, Urlaubsgeld (nicht Urlaub in Form der Urlaubsgewährung)
    Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
  • Zahlung von Sonderzahlungen, wie z.B. vermögenswirksame Leistungen, Übergangsgeld, Jubiläumszuwendung)
  • Sozialplanansprüche
  • Abfindungsansprüche aus außergerichtlichem Vergleich
  • Anspruch auf Zahlung einer Abfindung
  • Freizeitausgleich wegen Überstunden, Bereitschaftsdienst u. a.
  • Anspruch Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses sowie eine Zeugnisberichtigung
  • Erteilung einer (Entgelt-)Abrechnung
  • Erstattung von Aufwendungen (Auslagenersatz, Reisekostenerstattung, Umzugskostenvergütung)
  • Rückzahlungsanspruch des Dienstgebers gegen den Mitarbeiter wegen überzahlter Bezüge.

Regelmäßig nicht erfasst von der Ausschlussfrist sind zum Beispiel:

  • Ansprüche auf den Mindestlohn nach MiLoG.
  • Ansprüche aus dem rechtlichen Status oder mit einer Dauerwirkung. Dazu gehören etwa die Ansprüche auf
    • vertragsgemäße Beschäftigung
    • auf eine Entlohnung als Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis (jedoch nicht auf die konkreten Entgelte)
    • auf die richtige Eingruppierung oder auf Rücknahme oder Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte (BAG 14.12.1994 NZA 1995, 676)
  • Schulungskosten eines Betriebsratsmitglieds (BAG 30.1.1973 AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 3)
  • Beseitigung oder Rücknahme einer Abmahnung (BAG 14.12.1994 NZA 1995, 676)
  • Stammrechte aus der betrieblichen Altersversorgung (BAG 27.2.1990 NZA 1990, 627)
  • Unterstützungsleistungen für Angehörige bei Tod des Mitarbeiters (LAG HE 13.1.1995 NZA-RR 1996, 60)
  • Ansprüche auf Herausgabe des Eigentums (BAG 15.7.1987 NZA 1988, 53);
  • Sozialplanansprüche mit Vorsorgecharakter (BAG 3.4.1990 EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 94; 13.2.2007 NZA 2007, 825)
  • Ansprüche wegen Eingriffs in Persönlichkeitsrechte (BAG 15.7.1987 NZA 1988, 53; diff. 16.5.2007 NZA 2007, 1154 bei Ansprüchen wegen Mobbing ist zu beachten, dass die Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus erlassen werden kann (BAG 20.6.2013 NZA 2013, 1265);
  • Abfindungsansprüche aus gerichtlichem Vergleich (BAG 13.1.1982 AP KSchG 1969 § 9 Nr. 7)
  • Schadensersatzansprüche wegen Versorgungsschäden (BAG 13.12.1988 NZA 1989, 690)
  • Entgeltansprüche nach §§ 611a, 612 II bei Vereinbarung einer sittenwidrigen Vergütung (LAG HM 18.3.2009 BeckRS 2009, 08489; Bepler FS Richardi 2007 S. 189, 203)
  • Ansprüche der Hinterbliebenen eines Mitarbeiters auf tarifliches Sterbegeld (BAG 4.4.2001 AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 156)
  • Ansprüche aus einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts; der Schutz der Persönlichkeit ist ein hohes Rechtsgut, das als absolutes Recht nicht unter eine "vertragliche" Ausschlussklausel fallen kann. Dazu gehört auch der Anspruch auf Entfernung ehrverletzender Dokumente oder Teilen davon aus der Personalakte. Ein Anspruch aus Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist jedoch nachrangig, wenn aus demselben Sachverhalt auch ein Anspruch auf Schadensersatz besteht. Dieser wiederum unterliegt der Ausschlussfrist.
  • Mittelbare, sozialrechtliche Ansprüche aus (Sozial-)Gesetz; neben den vertraglichen und tariflichen Zahlungsansprüchen stehen dem Mitarbeiter auch solche aus (sozial)gesetzlicher Grundlage zu. Diese Ansprüche sind dem öffentlichen Recht zuzuordnen und werden daher nicht von privatrechtlich begründeten Ausschlussklauseln berührt. Zu diesen Ansprüchen zählt der Zuschuss zur Krankenversicherung nach § 257 SGB V und entsprechend der Zuschuss zur Pflegeversicherung nach § 61 SGB XI.

Rechtlicher Hinweis/Haftungsausschluss:

Die Inhalte sind unbedingt bezogen auf den konkreten Einzelfall zu überprüfen. Es wird keinerlei Haftung für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der Darlegungen und der zitierten Vorschriften von den Verfassern übernommen. Ziehen Sie in Erwägung, sich wegen Ihres Anliegens beispielsweise an Ihre Gewerkschaft, eine Beratungsstelle oder einen Rechtsanwalt zu wenden.

1 Vergleiche ak.mas Sonder-Info Dezember 2019

2 Siehe dazu Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 30.10.2019, 6 AZR 465/18

3 Papenheim, in: Arbeitsrecht der Caritas, AT § 23, Rn. 24