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1. Januar 2027 geltenden AVR...

In dieser Ausgabe

  1. Tarifvertragsparteien und Gleichbehandlung – Willkürkontrolle tariflicher Zuschlagsregelungen
  2. Tarifautonomie und Gleichbehandlung – Willkürkontrolle tariflicher Eingruppierungen
  3. Unwirksame Kündigung eines Chorleiters wegen Kirchenaustritts

 

1. Tarifvertragsparteien und Gleichbehandlung – Willkürkontrolle tariflicher Zuschlagsregelungen

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) zur Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten bezüglich der einheitlichen Auslösegrenze zur Erlangung eines Überstundenzeitzuschlages (BAG 8. Senat, Urteil vom 5. 12. 2024 - 8 AZR 370/20) gilt als richtungsweisend. Doch das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen, denn gegen diese Entscheidung ist bekanntlich noch eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig (1 BvR 1198/22). Die vorliegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 11.12.2024 in einer ähnlich gelagerten Sache bremst die anfängliche Euphorie nun wieder etwas aus und zeigt auf, in welche Richtung es auch gehen könnte.

BVerfG, Beschluss vom 11.12.2024 - 1 BvR 1422/2
Aus den amtlichen Leitsätzen des BVerfG:

Bei Tarifnormen, deren Gehalte im Kernbereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen liegen und bei denen spezifische Schutzbedarfe nicht erkennbar sind, ist die gerichtliche Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG angesichts der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Spielräume der Tarifvertragsparteien auf eine Willkürkontrolle beschränkt.

Bei der Bestimmung der Rechtsfolgen gleichheitswidriger Tarifnormen müssen die Gerichte die Koalitionsfreiheit der Tarifvertragsparteien und insbesondere deren Spielräume in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beachten. Diese grundrechtlichen Spielräume setzen sich bei der Tarifnormsetzung im Falle verschiedener Möglichkeiten zur Beseitigung der Ungleichbehandlung als grundsätzlich primäre Korrekturkompetenz fort.

Die erforderliche partielle Neuordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen zur Be-seitigung einer Unvereinbarkeit von Tarifnormen mit der Verfassung ist auch im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung im Individualprozess im Ausgangspunkt dabei den Tarifpartnern als ursprünglichen Normgebern zu überlassen.

Der Fall

Zwei Arbeitgeberinnen wandten sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen Urteile des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichtes (BAG, Urteil vom 9.12.2020 – 10 AZR 335/20 und BAG, Urteil vom 22. März 2023 – 10 AZR 600/20), mit denen dieser die Arbeitgeberinnen jeweils zur Zahlung von tariflichen Nachtarbeitszuschlägen in Höhe von 50 Prozent des Stundenlohns verurteilt hatte, obwohl die klagenden Arbeitnehmer keine (unregelmäßige) Nachtarbeit, sondern (regelmäßige) Nachtschichtarbeit geleistet hatten. Die zugrundeliegenden Tarifverträge enthielten jeweils eine Regelung, nach der für Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 Prozent des Stundenlohns, für Nachtschichtarbeit aber nur ein Zuschlag von 25 Prozent des Stundenlohns zu gewähren war. Die entsprechenden Zuschlagsregelungen waren nach Auffassung des BAG für (regelmäßige) Nachtschichtarbeit in den anwendbaren Tarifverträgen hinsichtlich der jeweils höheren Zuschlagsvergütungen für (unregelmäßige) Nachtarbeit mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar. Als Rechtsfolge des festgestellten Gleichheitsverstoßes hatte das BAG den Arbeitnehmern die Zuschläge zuerkannt, die an den tariflichen Zuschlagsregelungen in Höhe von 50 Prozent des Stundenlohns für (unregelmäßige) Nachtarbeit ausgerichtet waren und nahm eine „Anpassung nach oben“ vor.

Die Entscheidung

In seiner Begründung führt das BVerfG aus, indem die BAG-Urteile die tarifvertraglichen Differenzierungen zwischen den unterschiedlichen Formen der Nachtarbeit aus verfassungsrechtlichen Gründen der Koalitionsfreiheit der Tarifparteien nicht beachtet haben, haben sie zugleich die Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG als Arbeitgeberinnen beeinträchtigt. Die BAG-Urteile, so das BVerfG weiter, haben den Klägern auf diese Weise die Berufung auf die tarifvertraglichen Ergebnisse der Mitgliedschaft in der Koalition verwehrt. Der Tarifvertrag stellt einen in einer spezifischen Verhandlungssituation gefundenen Verhandlungskompromiss dar, zu dessen Abschluss die sachnahen Tarifvertragsparteien durch die Verfassung ermächtigt werden. Es bleibt grundsätzlich den Tarifvertragsparteien aufgrund dieser Sachnähe und ihrer tarifpolitischen Kenntnisse überlassen, ob und für welche Bereiche sie spezifische Regelungen treffen und durch welche situationsbezogenen Kriterien diese ausgestaltet sind. Dabei dürfen sie auch Typisierungen und Generalisierungen vornehmen und müssen nicht die objektiv vernünftigste und sachgerechteste Lösung treffen. Die Tarifvertragsparteien sind sogar befugt, Regelungen zu treffen, die die Betroffenen im Einzelfall für ungerecht halten und die für Außenstehende nicht zwingend sachgerecht erscheinen. Allerdings kommt die Berufung auf tarifvertragliche Regelungen nicht uneingeschränkt in Betracht. Die Tarifvertragsparteien müssen bei der Vereinbarung von Tarifnormen auch den Grundsatz der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG ins Auge zu fassen. Denn das Grundrecht der Koalitionsfreiheit ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann durch andere Grundrechte begrenzt werden. Zu diesen Grenzen gehört eben auch die grundsätzliche Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Diese Grenze kann durch die Gerichte unmittelbar zur Anwendung gebracht werden.

Die Kontrolle der tariflichen Zuschlagsregelungen durch die (Arbeits-)Gerichte ist nach Auffassung des BVerfG aber auf eine Willkürkontrolle begrenzt, deren Grenzen nicht überschritten sein dürfen. Tarifnormen sind nach dem BVerG aber nur dann willkürlich, wenn die ungleiche Behandlung der Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die Differenzierung fehlt. In den dem BVerfG vorgelegten Fällen bestanden sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung von Nacht- und Nachtschichtarbeit, insbesondere sei die höhere soziale Belastung durch (unregelmäßige) Nachtarbeit ein einleuchtender Grund. Anders als nach Ansicht des 10. Senats des BAG habe das Gericht bei der Beurteilung von Tarifnormen auch Gründe für die tarifvertraglich vorgesehene Ungleichbehandlung von Nacht- und Nachtschichtarbeit zu be-rücksichtigen, die nicht im Tarifvertragstext aufgeführt oder angedeutet waren.

Das BAG habe zudem nach Auffassung des BVerfG die Tarifautonomie der Arbeitgeberinnen bei der Bestimmung der Rechtsfolge missachtet: Eine „Anpassung nach oben“, mit der das BAG den in Nachtschicht tätigen Arbeitnehmern die höheren Nachtarbeitszuschläge zuerkannt hatte, missachte die Koalitionsfreiheit der Tarifparteien. Den Tarifparteien sei daher die Möglichkeit zur (tarifvertraglichen) Korrektur von unwirksamen Tarifnormen einzuräumen. Zur „Anpassung nach oben“ seien die Gerichte folglich nur dann berechtigt, wenn das Entschließungs- und Auswahlermessen der Tarifparteien auf die „Anpassung nach oben“ als einzige Gestaltungsmöglichkeit reduziert sei. Das sah das BVerfG in den vorliegenden Fällen nicht gegeben. Es stehe insbesondere einer tariflichen Neuregelung für die Vergangenheit kein Vertrauensschutz entgegen. Das BVerfG verwies daher die Verfahren zur erneuten Entscheidung an das BAG zurück.

Auswirkungen

Das BVerfG hat mit diesem Urteil die Tarifautonomie gestärkt. Das, was die Tarifparteien vereinbaren, kann selbst ein BAG nicht in jedem Fall und ohne weiteres abändern, solange diese Tarifregelung nicht willkürlich ist. Es obliegt dabei nicht dem (Arbeits-)Gericht, nach der vermeintlich gerechten Lösung dafür zu suchen, was Tarifparteien zuvor aufgrund von Sacherwägungen versucht haben, zu regeln.

Das Urteil bedeutet dabei mehr Rechtssicherheit für die Tarifparteien und letztlich für die Tarifanwender in der Praxis. Eine rückwirkende „Anpassung nach oben zugunsten der Arbeitnehmer“ ist ausgeschlossen, da ein Tarifvertrag nicht nur für die tarifgebundenen Arbeit-nehmer Vertrauensschutz bietet, sondern auch für die tarifgebundenen Arbeitgeber. Das BVerfG unterstreicht aber auch, dass nicht jede als ungerecht empfundene Tarifregelung rechtswidrig ist und anzupassen ist, solange diese nicht willkürlich getroffen wurde. Eine ggf. erforderliche Korrektur der Tarifregelungen obliegt dabei den Tarifparteien.

Es bleibt also spannend abzuwarten, wie sich dieses Urteil in die Rechtsprechung des BAG einfügt und wie die anhängige Verfassungsbeschwerde zur Gleichbehandlung von Teilzeitmitarbeitern vom BVerfG nunmehr beurteilt wird.


 

 2. Tarifautonomie und Gleichbehandlung – Willkürkontrolle tariflicher Eingruppierungen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied mit Beschluss vom 26. Februar 2025 (Az.: 4 ABR 21/24), dass Tarifverträge für annähernd gleiche Tätigkeiten beim medizinischen Fachpersonal unterschiedlich hohe Vergütungen vorsehen dürfen.

Spannend ist die Entscheidung aus mehreren Gründen. Zum einen geht es um die Frage, wie weit der Gestaltungsspielraum der Tarifparteien (Tarifautonomie) reicht und wo die Grenze liegt. Insofern greift das BAG die im Artikel zuvor erläuterte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auf. Zum anderen stehen die Anwendung und Auslegung der Tätigkeitsmerkmale nach der Entgeltordnung des TVöD/VKA im Mittelpunkt.

Der Fall

Die Arbeitgeberin ist Trägerin mehrerer Krankenhäuser. Die Arbeitnehmerin ist eine Medizinische Fachangestellte (MFA), mit dreijähriger Ausbildung. Zuletzt war sie tätig in der Patientenaufnahme. Sie war in die Entgeltgruppe 5 Stufe 1 TVöD-K/VKA eingruppiert. Später wurde sie versetzt in den Ambulanten Operationssaal (AOP).

Die Arbeitgeberin wollte sie in die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale des Teils A Abschnitt I Ziffer 3 der Anlage 1 (Entgeltordnung zum TVöD/VKA) eingruppieren, dort in die Entgeltgruppe 6 Stufe 2. Die Begründung lautete, dass im AOP über die üblichen MFA-Aufgaben hinausgehende Anforderungen bestehen (z. B. spezielle Kenntnisse der Gerätschaften, Wirkungen einer Vollnarkose, etc.). Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung. Er argumentierte, im AOP eingesetzte MFA seien ebenso wie OTA nach den besonderen Tätigkeitsmerkmalen für Beschäftigte in der Pflege, Teil B Abschnitt XI Ziffer 1 der Anlage 1 (Entgeltordnung zum TVöD/VKA) eingruppiert. Maßgebend sei nicht die Ausbildung der Arbeitnehmerin, sondern deren Tätigkeit. Ein anderes Verständnis der tariflichen Regelungen führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung und verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

Bei ihrer Tätigkeit im Operationssaal / Ambulanten Operationssaal fallen laut Feststellungen des Arbeitsgerichts (prozentualer Anteil der Arbeitszeit) etwa folgende Aufgaben an:

  • Assistieren bei ärztlichen Maßnahmen, Vorbereiten von Geräten und Instrumenten: ca. 20 Prozent
  • Anreichen der Instrumente während einer Operation („Instrumentieren“): ca. 50 Prozent
  • Reinigung, Desinfektion, Sterilisation von Geräten, Instrumenten und Apparaten: ca. 20 Prozent
  • Dokumentations-, Organisations- und Verwaltungsaufgaben: ca. 10 Prozent

Die Entscheidung

Das BAG bleibt seiner bisherigen Rechtsprechung treu, dass Tarifvertragsparteien verfassungsrechtlichen Beschränkungen unterliegen, insbesondere dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Tarifnormen, auch Eingruppierungsregelungen, müssen diesem Grundsatz genügen.

Das BAG führt aber auch aus, dass die Tarifautonomie den Tarifparteien Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume gibt. Dieser Freiheit liegt die Erwartung zugrunde, dass der autonome Verhandlungsprozess einer Ordnung und Befriedung des Arbeits- und Wirtschaftslebens dient. Dem Tarifvertrag kommt daher eine Angemessenheitsvermutung zu. Es darf grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das von den Tarifvertragsparteien erzielte Verhandlungsergebnis die Interessen beider Seiten sachgerecht zum Ausgleich bringt. Eine ungleiche Behandlung ist jedoch dann verboten, wenn sie keinen nachvollziehbaren Grund hat und offensichtlich unsachlich ist.

Vorliegend sieht das BAG die Differenzierung bei Eingruppierung und Vergütung nach Ausbildungen und spezifischen Anforderungen als nachvollziehbar und gerechtfertigt an. Die Ausbildungen von MFA und OTA unterscheiden sich erheblich. Das BAG geht in dem Beschluss recht ausführlich auf die Ausbildung und das Tätigkeitsprofil von MFA und OTA ein. Die OTA-Ausbildung sei spezifischer auf die OP-Tätigkeit ausgerichtet. Auch wenn Tätigkeiten ähnlich aussehen, reicht das allein nicht, um eine andere Eingruppierung durchzusetzen.

Den Tarifvertragsparteien ist es danach nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt, für MFA eine niedrigere Vergütung als für OTA vorzusehen, auch wenn sie Tätigkeiten ausüben, die denen einer OTA entsprechen. Der sich durch die Tätigkeitsmerkmale ergebende Entgeltanspruch (§ 15 Abs. 1 TVöD/VKA) unterfällt dem Kernbereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Den Tarifvertragsparteien steht es frei, diesen nicht nur von der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, sondern auch von weiteren persönlichen Voraussetzungen, wie dem Nachweis bestimmter Kenntnisse oder einer speziellen Ausbildung, abhängig zu machen.

Die Eingruppierung nach der Entgeltgruppe 6 der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale des Teils A Abschnitt I Ziffer 3 der Anlage 1 - Entgeltordnung zum TVöD/VKA wird vom BAG als richtig anerkannt. Eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 6 TVöD/VKA setzt voraus, dass die Tätigkeit über die Entgeltgruppe 5 hinaus gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordert. „Gründliche Fachkenntnisse“ setzen nähere Kenntnisse von Rechtsvorschriften oder näheres kaufmännisches oder technisches Fachwissen usw. des Aufgabenkreises voraus. Es sind Fachkenntnisse von nicht ganz unerheblichem Ausmaß und nicht nur oberflächlicher Art zu verlangen. Das Tätigkeitsmerkmal erfordert danach erweiterte Fachkenntnisse sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. „Vielseitige Fachkenntnisse“ erfordern demgegenüber eine Erweiterung des Fachwissens seinem Umfang nach. Dies kann sich beispielsweise aufgrund der Menge der anzuwendenden Vorschriften und Bestimmungen oder der Verschiedenartigkeit der sich aus einem Fachgebiet stellenden Anforderungen ergeben.

Auswirkungen

Tarifverträge stehen in einem Spannungsverhältnis. Einerseits haben die Tarifparteien einen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum, die Tarifautonomie. Sie ist grundrechtlich garantiert und gewährleistet Arbeitnehmern und Arbeitgebern einen Freiraum, worin sie ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können. Andererseits besteht diese Freiheit nicht unbeschränkt. Die Tarifvertragsparteien haben den allgemeinen Gleichheitssatz, der auch grundrechtlich garantiert ist, zu beachten. Eine ungleiche Behandlung ist verboten, wenn sie keinen nachvollziehbaren Grund hat und offensichtlich unsachlich ist. Das BAG greift dabei den Beschluss des BVerfG (siehe Artikel oben) auf. Auch das BVerfG schreibt die Bindung der Tarifvertragsparteien an den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 GG fest.

Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich nach BAG und BVerfG auf eine Willkürkontrolle bei solchen Tarifnormen, die den Kernbereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen betreffen. Dazu gehört z.B. die Eingruppierung. Das gilt, sofern spezifische Schutzbedarfe oder Anhaltspunkte für eine Vernachlässigung von Minderheitsinteressen nicht erkennbar sind.

Im zugrunde liegenden Fall besteht ein wesentlicher Unterschied zu den Urteilen betreffs Zeitzuschläge für Überstunden für Teilzeitbeschäftigte. Dort erkannten weder der EuGH noch das BAG einen Sachgrund für die Ungleichbehandlung nach der tariflichen Regelung an. Vorliegend gibt es einen rechtfertigenden Sachgrund für die unterschiedliche Eingruppierung und daraus folgende unterschiedlich hohe Vergütungen für annähernd gleiche Tätigkeiten beim medizinischen Fachpersonal.

Die Ausführungen des BAG zu den Eingruppierungstatbeständen sind auf die AVR anwendbar. Aktuell entsprechen die Eingruppierungen nach Anlage 31 AVR grundsätzlich denen nach TVöD/VKA, Bereich Krankenhaus. Vielleicht wird in Zukunft die AVR neu strukturiert sein und für alle Mitarbeitenden eine Entgeltordnung enthalten, die dem Grunde nach der des TVöD/VKA entspricht (falls die Bundeskommission einen solchen Beschluss fassen sollte, was mit Stand September 2025 noch offen ist).


 

3. Unwirksame Kündigung eines Chorleiters wegen Kirchenaustritts

Seit Langem ist umstritten, ob ein Kirchenaustritt während eines bestehenden Dienstverhältnisses eine Kündigung rechtfertigen kann. Befürworter einer solchen Kündigungsmöglichkeit berufen sich auf die sogenannten Loyalitätspflichten, die sich aus der Grundordnung des kirchlichen Dienstes ableiten. In Art. 9 Abs. 4 der Grundordnung ist geregelt, dass ein Kirchenaustritt in der Regel zur Kündigung führt, es sei denn, im Einzelfall liegen nachvollziehbare Gründe für den Austritt vor. Gegner dieser Praxis sehen darin jedoch eine Diskriminierung aufgrund der Religion und einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Religionsfreiheit.

Der Fall

In diesem Spannungsfeld hatte das LAG Hessen darüber zu entscheiden, ob einem Chorleiter gekündigt werden durfte, weil er aus der katholischen Kirche ausgetreten war. Der Dienstgeber argumentierte, dass der Chorleiter in einem sogenannten „verkündigungsnahen“ Bereich tätig sei, in dem der Glaube ein integraler Bestandteil der Tätigkeit sei. Der Mitarbeiter hingegen sah sich aufgrund seiner Religion diskriminiert, wobei dies ebenso das Recht umfasst, keiner Religion anzugehören.

Die Entscheidung

Das LAG Hessen erklärte mit Urteil vom 19.11.2024 (4 SLa 127/24) die Kündigung für unwirksam. Aus der Entscheidung lassen sich folgende Leitsätze ableiten:

  1. Für die außerordentliche Kündigung eines Chorleiters einer katholischen Kirchengemeinde wegen Austritts aus der katholischen Kirche liegt kein wichtiger Grund gemäß § 626 I BGB vor.
  2. Unwirksam sind die arbeitsvertraglichen Regelungen unter Bezugnahme auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes gemäß § 7 II AGG, soweit danach der Kirchenaustritt des Arbeitnehmers einen Loyalitätsverstoß darstellt, der grundsätzlich eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.
  3. Die Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen im Sinne des § 2 I 2 AGG benachteiligten den Kläger gem. § 7 I i.V.m § 3 I 1 AGG unmittelbar wegen eines in § 1 genannten Grundes, ohne dass dies nach § 9 II AGG gerechtfertigt ist.
  4. Die Anforderung an einen Chorleiter, zum Zwecke der weiteren Berufsausübung bei der Beklagten in der Kirche zu verbleiben, ist keine wesentliche berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 II Unterabs. 1 (RL 2000/78/ EG).

Das zentrale Argument des Gerichts lag in der fehlenden Nähe des Chorleiters zum Verkündigungsbereich. Diese Begründung mag zunächst überraschen, überzeugt jedoch bei genauer Betrachtung: Der Chorleiter hatte keinen Einfluss auf die liturgische Gestaltung des Gottesdienstes, insbesondere nicht auf die Auswahl oder den Zeitpunkt der Musikstücke, was allein dem Pfarrer oblag.

Zusätzlich verwies das Gericht auf die Stellenausschreibung, in der eine Mitgliedschaft in der katholischen Kirche nicht ausdrücklich verlangt worden war.

Auswirkungen

Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist und Revision eingelegt wurde, spiegelt es einen seit Jahrzehnten zu beobachtenden Wandel wider. Die Möglichkeit, eine Kündigung wegen Kirchenaustritts auszusprechen, wird zunehmend eingeschränkt. Eine solche Maßnahme ist künftig wohl nur noch bei Tätigkeiten denkbar, die eine sehr enge Bindung an die kirchliche Verkündigung aufweisen.

 

RECHT INFORMIERT 2025/02

Tarifverträge und Gleichbehandlung -- Kündigung wegen Kirchenaustritts
PDF | 314.92 KB | 22. Sep., 2025


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